© Torsten Behr
Agnes Hammer
Autor*in
Agnes Hammer wurde 1970 geboren. Geschrieben hat sie eigentlich schon immer, jedenfalls kann sie sich noch genau an den karierten Block erinnern, auf den sie mit acht Jahren ihre erste Geschichte schrieb. Nach dem Abitur studierte sie Germanistik und Philosophie in Köln. Seit 1998 arbeitet sie in Düsseldorf mit sozial benachteiligten Jugendlichen in einem großen Berufsbildungszentrum. Sie ist seit 2005 Anti-Aggressivitäts-Trainerin. Für ihren Roman "Herz, klopf!" wurde sie 2010 mit dem Kranichsteiner Literaturstipendium ausgezeichnet. Darüber hinaus ist sie Preisträgerin des Kurd-Laßwitz-Stipendiums 2011 und Stipendiatin des Landes Nordrhein-Westfalen.
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Agenes Hammer über ihr Debütroman "Bewegliche Ziele":
Was hat Sie dazu bewogen, über solch ein heikles Thema wie Vergewaltigung zu schreiben?
Eine Vergewaltigung ist für mich zunächst eine Gewalttat. Wie bei jeder anderen Gewalthandlung geht es dem Täter darum, Macht auszuüben, Schmerz zuzufügen und zu demütigen. Das Sexuelle zeigt die vom Täter beabsichtigte Demütigung besonders stark. Mich hat besonders interessiert, darzustellen, wie das Opfer, also Momo ihren Körper zurück erobert, wie sie sich weigert, in einer Opferhaltung zu verharren.
Sie schreiben sehr kühl und distanziert, während andere Autoren sogenannter „Problembücher“ oft viel emotionaler sind. Ist das die einzige Möglichkeit für Sie, an solche Themen heranzugehen?
Ich empfinde "Bewegliche Ziele" nicht als kühl. Mein Ehrgeiz in diesem Text war es, möglichst wenig zu beschreiben. Wenn Momo sich beispielsweise den Bauch aufritzt, um sich zu spüren, erscheint es mir respektvoller, das in einer Szene zu zeigen als mit vielen Metaphern ihren Ekel vor sich selbst zu beschreiben. Ich glaube, dass Leser/innen – die viel mehr als ich in einer Welt der Bilder (Fernseher, Internet, MTV) leben - das durchaus verstehen können.
Können Sie sich überhaupt mit der Formulierung „Problembuch“-Autorin identifizieren?
Jeder fiktionale Text lebt von Problemen und strebt nach deren Lösung, nach einem guten oder schlechten Ende.Mädchen, die sogenannte „Problembücher“ lesen, werden nach meiner Erfahrung oft von den großen philosophischen Fragen des Lebens berührt und denken viel über sich und andere nach. Und vor einem solchen Publikum habe ich viel Respekt.
Gibt es einen Zweck, den Sie mit Ihren Büchern und der Art, wie Sie Ihre Bücher schreiben, verfolgen?
Mit meinen Texten möchte ich nicht pädagogisch sein. Was mich am Schreiben vor allem interessiert, ist ein stimmiger Text. Die Figuren, die – in "Bewegliche Ziele" sehr einfache – Sprache, die schnellen Schnitte zum Beispiel, schienen mir eine gute Möglichkeit, das Heimatlose, das alle fünf Protagonisten umtreibt, widerzuspiegeln.
Sie arbeiten in einem Bildungszentrum für sozial benachteiligte Jugendliche und sind auch Anti-Aggressivitätstrainerin. Wie eng sind diese beiden Tätigkeiten miteinander verbunden? Oder anders gefragt: Geht Gewalt größtenteils von sozial benachteiligten Jugendlichen aus?
In unserer Einrichtung habe ich verschiedene „Coolness-Trainings“ durchgeführt. Aber vor allem hilft mir diese zusätzliche Ausbildung bei der täglichen Arbeit. Konsequent sein, auch konfrontativ, und dabei mit Herz mit den Jugendlichen zusammen zu arbeiten, darum geht es immer.Ob sozial benachteiligte Jugendliche tatsächlich gewalttätiger sind, wage ich zu bezweifeln. Es gibt auch Gewalt an Gymnasien, dort ist es eher Mobbing, bis zu Todesdrohungen per SMS. Diese Gewalt ist sozial unauffälliger.Sozial benachteiligte Jugendliche werden oft stigmatisiert und sind daher auffälliger. Sie stigmatisieren sich im Wortsinn auch selbst, etwa durch Piercings und Tatoos.
Mit welchen Schwierigkeiten kämpfen Jugendliche heutzutage?
Die größte Schwierigkeit von Jugendlichen ist die Angst vor der Zukunft. Viele der Heranwachsenden werden den Lebensstandard, den sie von ihrem Elternhaus kennen, nicht halten können. Viele, gerade aus sogenannten bildungsfernen Schichten, geben sich selbst auf, schlagen um sich oder werden auto-aggressiv. Andere leiden unter dem hohen Anpassungsdruck, den ich aus meiner Jugend so nicht kennen gelernt habe. Allen Heranwachsenden scheint klar zu sein, dass die Nicht-Funktionierenden ziemlich schnell aussortiert werden.
Was sind – aus Ihrer beruflichen Erfahrung – die Gründe dafür, dass Jugendliche gewalttätig werden?
Motive für Gewalt gibt es natürlich viele. Allen Gewalttätern ist gemeinsam, dass sie keine Empathie mit dem Opfer haben, es regelrecht entmenschlichen und über seine Qualen lachen können. Die gewalttätigen Jugendlichen, die ich kennen gelernt habe, haben alle kein gesundes Selbstbewusstsein. Auf der einen Seite sind sie die Könige der Straße und verteidigen diesen Status mit der Faust. In anderen Situationen, beispielsweise was ihre schulischen Leistungen oder ihre Perspektiven angeht, sind sie ganz arme Würstchen.