Datiboi für die netten Kommentare und Stella darf sich ein Sternchen ins Heft malen: Es stimmt, Oma Zezcis letzte Postkarte kam aus Vietnam. Kaum ist Opa Gustav samt Hackklops aus dem Studio verschwunden, begrüße ich einen neuen Gast. Genau genommen ist es eine Gastine. Ich freue mich ganz besonders, denn sie ist ganz besonders …
F. Gehm: Herzlich willkommen – boi venti – zum
Talk mit Biss, Silvania. Bist du zum Studio geflogen? Du siehst etwas … zerzaust aus.
Silvania: Mein Vater hat mich hergefahren. Beim Dacia ging das Beifahrerfenster nicht mehr hoch. Dafür wäre er beinahe mit hochgegangen, ins Studio.
Würde mich nicht wundern, wenn er vorm Fenster hängt. (Silvania und F.Gehm schielen kurz zum Studiofenster)
Silvania: Hängt nichts.
F. Gehm: Fliegt nichts.
Silvania: Singt auch nichts.
F. Gehm: Wir können also ungestört reden. Silvania, du wohnst nun seit mehreren Wochen nicht mehr in Transsilvanien. Hast du dich schon in Deutschland eingelebt?
Silvania: Afa jasnoi! Ich meine, aber klar doch. Ich habe mich nicht nur eingelebt, ich habe mich bestimmt sogar zweigelebt. Wenn nicht dreigelebt.
F. Gehm: Und was ist mit den Rolltreppen?
Silvania: (zuckt kurz zusammen) Na gut, bis auf die Rolltreppen.
F. Gehm: Und die Straßenbahnen?
Silvania: (hat einen Fussel auf ihren ellbogenlangen, blutroten Seidenhandschuhen entdeckt, um den sie sich unbedingt sofort kümmern muss)
F. Gehm: Und die Fahrstühle?
Silvania: WAS? Es gibt fahrende Stühle?
F. Gehm: Nein, die heißen nur so. Eigentlich sind es fahrende … ähm, Kisten.
Silvania: (runzelt die Stirn)
F. Gehm: Ist ja auch egal. Du hast dich also eingelebt.
Silvania: (nickt) Bis auf die Rolltreppen, die Straßenbahnen, die U-Bahnen, Achterbahnen, Fahrradwege, das Sonnenlicht, Schulunterricht zur Tiefschlafzeit, Klassenlehrer, die vor dem Tisch stehen und nicht an der Tafel hängen, Nachsitzen statt Nachhängen am Fahnenmast, Nachbarn mit Puschelhausschuhen, Blutspendeaktionen, Solarien, Gartenzwerge, Taubenzüchtervereine, vampirleere Luftschichten und Sauerkraut. Und dass ein Mensch die Post bringt und keine Fledermaus. Das ist auch gewöhnungsbedürftig. Aber sonst habe ich mich so was von eingelebt, dass ich mich gar nicht mehr ausleben kann.
F. Gehm: Deine Mutter ist ein Mensch und dein Vater ein Vampir. Wie fühlt man sich als Halbvampir – ist man innerlich zerrissen?
Silvania: Ich fühle mich ziemlich (sieht an sich hinab) rund und ganz. Es gibt Momente, in denen ist der Vampir in mir stärker. Zum Beispiel, wenn man mir ein Knoblauchbaguette unter die Nase hält oder wenn ich mitten in der Nacht schlafen soll. Es gibt aber auch Momente, in denen fühle ich mich mehr als Mensch. Zum Beispiel beim Ausdauerflug bei Kilometer 23.
F. Gehm: Wenn du dir aussuchen könntest, wo du lebst, würdest du in Deutschland oder in Transsilvanien leben wollen?
Silvania: (spielt mit dem Anhänger ihrer Kette und denkt einen Moment nach) Auf Vampwanisch sagt man: Rodna oista gdo inima oista. Die Heimat ist da, wo das Herz ist. Und mein Herz ist noch auf Wanderschaft.
F. Gehm: Verstehe. Wie ein Tischlergeselle.
Silvania: Hm … so ähnlich.
F. Gehm: Zur nächsten Frage: Damit du keinen Menschen verschreckst, feilst du dir mindestens einmal die Woche deine Eckzähne kürzer.
Silvania: (nickt und fährt sich mit der Zunge über die rund gefeilten Eckzähne) Dentiküre.
F. Gehm: Tut das nicht weh?
Silvania: Nein. Es quietscht nur furchtbar. Das ist wie mit dem Bohren beim Zahnarzt. Solange man nicht auf die Wurzel kommt, ist alles hoi boi. Sie können es ja mal probieren. (zieht eine Zahnfeile aus ihrer Handtasche und hält sie F. Gehm entgegen)
F. Gehm: (blickt zögernd auf die Zahnfeile) Vielleicht später. Danke. (greift schnell auf den Tisch und hebt eine Karte auf) Sehen wir uns lieber das an. Deine Oma Zezci ist wirklich reisefreudig. Schon wieder kam eine Postkarte von ihr an.
Silvania: Darf ich? (nimmt die Postkarte und studiert sie)
Oma Zezci schreibt:
Boi noap Nachtschatten- und Briefkastengewächse, ich bin reif für diese Insel. Sie ist die Heimat der Göttin der Liebe (und der Sänger George Michael und Cat Stevens). Ich sitze etwas steif im Briefkasten, dafür herrlich finster hier. Um mich herum lauter Urlaubspostkarten. Auf dieser Insel ist alles verrückt – die Leute bauen Schneemänner, baden im Meer, fahren mit dem Auto links und essen Joghurt mit Gurke und Knoblauch. Aij! Ich bleibe lieber noch eine Weile im Postkasten. Tirili, Oma Zezci
Silvania: Reif für die Insel war Oma Zezci schon lange. Aber reif für den Postkasten?
F. Gehm: Silvania, was ist eigentlich mit –
W-U-M-M-S K-N-A-U-T-S-C-H B-U-F-F
Silvania: Was war das? Eine Taube?
(F. Gehm und Silvania drehen sich zum Fenster um.)
F. Gehm: Nein. Ein Vampir.
(Mihai Tepes klebt mit breitgedrücktem Lakritzschnauzer und breitem Grinsen am Fenster)
Silvania: Wahrscheinlich hat sich mein Papa bei der Fluggeschwindigkeit verschätzt.
(Mihai Tepes winkt F. Gehm und Silvania zu, dann rutscht er langsam vom Fenster)
F. Gehm: Ich denke, das ist ein Zeichen. Silvania, es hat mich sehr gefreut, dass du hier warst. Ich hoffe, du kommst wieder vorbei und dann reden wir weiter …
Silvania: … über die Liebe? (bekommt rote Kringel um die Augen)
F. Gehm: Auch das.
Silvania: Darf ich noch schnell jemanden grüßen?
F. Gehm: Gerne, nur zu.
Silvania: Also, ich grüße meine Schwester, Dakaria, aber keiner nennt sie so, alle nennen sie Daka, und Helene, die grüße ich auch, das ist meine allerbeste und allereinzigste Freundin, leider geht sie gerne auf Friedhöfe, und Ludo grüße ich natürlich, aber das hat er bestimmt schon vorausgesehen, und, ähm, na ja, Jacob, hello my afterhelpteacher, ich habe übrigens deinen Schal noch, aber jetzt wird es ja wärmer, allerdings kann man einen Schal immer gut gebrauchen, ach ja, und Oma Rose grüße ich auch …
F. Gehm: (steht langsam auf)
Silvania: … und Opa Gustav, der war ja schon hier, habe ich gehört, und Bogdan in Bistrien, vielen Dank, Bogdan, für die letzte Fledermauspost, und ich grüße außerdem auch Tante Karpa, Onkel Vlad und sogar Woiwo, den kleinen Popelrotzi, das ist natürlich total liebevoll gemeint, und dann grüße ich …
F. Gehm: (verlässt mit leisen Schritten das Studio)
Silvania: … Herrn Banat, meinen alten Tierkundelehrer und Schlachter Sangrasa – ich vermisse seine Rohwurströllchen schmerzlich – und ich grüße meine Mama, Fumpfs!, die hätte ich vielleicht zuerst grüßen sollen, na ja, jetzt ist es zu spät, oder können wir das löschen und noch mal machen? Hallo? Ist noch jemand hier? Hallo? HalloooOoooo …?
Den nächsten Talk mit Biss gibt’s am 16.04.09, dazu wird der Deckel vom Briefkasten gelüftet, in dem Oma Zezci steckt. Vielleicht ist Silvania bis dahin mit ihren Grüßen fertig …